Rheintunnel Basel und «STEP Nationalstrassen»: klimapolitisch schöngerechnet

2022-05

Methodenkritik an Vernehmlassungsvorlage des ASTRA

Im Rahmen des STEP (Strategisches Entwicklungsprogramm) Nationalstrassen beantragt das ASTRA dem Parlament mit dem «Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024–2027» Mittel für den Autobahnneubau. Dieser wird dabei durch das ASTRA methodisch schöngerechnet. Klimaschadenskosten werden um den Faktor zehn zu tief angesetzt und gegenüber vermeintlich positiven Effekten um ein Vielfaches zu gering gewichtet. Positiv werden Reisezeitgewinne angenommen, die empirisch wie theoretisch jedoch unplausibel sind. Ohne diese Berechnungsannahmen überwiegen die volkswirtschaftlichen Kosten aber die prognostizierten Nutzen. Dies kritisiert KlimaVerantwortungJetzt aus Basel auch am teuersten Projekt des Verfügungskredits, dem Rheintunnel.

Das ASTRA hat bis zum 30.4. interessierte Kreise zur Vernehmlassung der Vorlage zum «Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024–2027» eingeladen. KlimaVerantwortungJetzt kritisiert die Vorlage als grundsätzlich methodisch irreleitend, der „Klimakrise“ nicht angemessen und in der Sache vollkommen unzureichend.

Mit der Vorlage soll dem Parlament unter anderem der Verfügungskredit für den Bau neuer Nationalstrassen ab 2023 beantragt werden, wie z.B. dem Rheintunnel. Zur Beurteilung durch den Nationalrat wird behauptet, dass in den Kosten-Nutzen-Analysen (KNA) und Kosten-Wirksamkeits-Analysen (KWA) der Strassenbau zu einem volkswirtschaftlichen Nutzen führe. Mit der dahinterliegenden Berechnungsmethodik werden die «positiven» Effekte (Nutzen) strukturell schöngerechnet, die Folgekosten hingegen marginalisiert. Darum fordert KlimaVerantwortungJetzt.ch eine Neuberechnung. Im Detail kritisiert KlimaVerantwortungJetzt.ch folgende Punkte (siehe unten verlinkte pdf’s zu Medienmitteilung und ausführliche Kritik):

Die Klimaschadenskosten werden um ca. den Faktor 10 zu gering angenommen. Sie werden nur mit 105.-CHF (plus 3%/a seit 2010) eingestellt, jüngste Studien gehen hingegen von ca. 2’900 CHF (3’000USD) aus. Damit werden die volkswirtschaftlichen Kosten der Klimakrise massiv durch die Bundesbehörden heruntergespielt.

Als klimapolitische Referenz wird die «Langfristige Klimastrategie der Schweiz» herangezogen. Mit dieser werden jedoch die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Parisabkommens konterkariert (siehe Berechnungen von klimaverantwortungjetzt). Auch der Vernehmlassungsvorlage fehlt damit eine völkerrechtlich und klimapolitisch belastbare Referenz.

Für die Kosten-Nutzen- sowie Kosten-Wirksamkeits-Analysen werden verschiedene Indikatoren zu einem Wert aggregiert und dazu untereinander gewichtet. «Nutzen» wie Reisezeitgewinne und Zuverlässigkeit gehen zusammen mit 32% ein, Klimaschäden wiegen nur 4%. Damit wird die Dramatik und Dringlichkeit der Klimakrise absolut verkannt und heruntergespielt.

Graue Emissionen des Strassenbaus bleiben methodisch unberücksichtigt. Dies ist gerade bei betonintensiven Tunnelbauten wie dem Rheintunnel komplett aus der Zeit gefallen, da diese Emissionen hoch sind.

Am Beispiel des Rheintunnels wird die Einheit der Materie verletzt. Der Neubau macht von den Kapazitätsverbesserungen nur dann Sinn, wenn zusätzlich zwei weitere Ausbauschritte (Hagnau – Augst – Rheinfelden) realisiert werden, deren Machbarkeit jedoch noch in den Sternen steht (insbesondere im Bereich der Unterfahrung des Rangierbahnhofes Muttenz) und erst später überprüft werden soll und deren Kosten in der jetzigen Aggregation von Kosten (Gesamtkosten von über 3’000Mio CHF) und Nutzen aussen vor bleiben.

Als wichtigster positiver Effekt werden sogenannte «Reisezeitgewinne» monetarisiert. Sie sollen sich einstellen, weil die jeweiligen Streckenabschnitte schneller passiert werden können. Gesamtgesellschaftlich werden jedoch Reisezeitgewinne immer wieder in Verkehrsleistung reinvestiert (Rebound; sekundär induzierter Verkehr), weshalb die tägliche Tagesunterwegszeit der Autofahrenden auch nicht sinkt. Vielmehr werden längere Strecken zurückgelegt. Dies wird methodisch aber nicht abgebildet, wie eine Antwort auf einen Vorstoss im Nationalrat zeigt (Interpellation Töngi, 19.3506). Ohne diesen nur vermeintlich positiven Effekten von Reisezeitgewinnen und Mehrverkehr bestünden aber praktisch keine volkswirtschaftliche Nutzen, womit den Projekten die Basis der Legitimation fehlt.

Nicht nur ist es – global gesehen – gar keine Perspektive, alle Staus der Welt mit noch mehr Strassenbau lösen zu wollen. Diesen Pfad beschreiten wir seit über 50 Jahren, ohne dass die Reisezeiten sinken, wie stets mit den Rechenprognosen behauptet. Vielmehr sollten wir Wege finden, dass die Verkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr sinkt. Statt 3’000 Mio CHF (!) in der Region zu vergraben, könnten wir sie VIEL besser für den beschleunigten Umbau unserer Energieinfrastrukturen (beschleunigter Ausbau und Dekarbonisierung Fernwärme, Schwammstadt, etc.) gebrauchen. Die Klimakrise ist JETZT.

Stellungnahme

Stellungnahme KlimaVerantwortungJetzt.ch vom 29.04.2022

Medien

Medienmitteilung KlimaVerantwortungJetzt.ch vom 02.05.2022

Weitere Informationen

Anfrage von klimaverantwortungjetzt beim ARE zu den Effekten des Strassenbaus in Verkehrsprognosemodellen

Kommentar von klimaverantwortungjetzt zur Antwort des Bundesrates auf drei Vorstösse im Nationalrat zu Klima- und Verkehrsthemen, u.a. zur Interpellation Töngi (19.3506) zu den Effekten des Strassenbaus in Verkehrsprognosemodellen

Seite des ASTRA mit den Vernehmlassungsunterlagen zur Weiterentwicklung des Nationalstrassennetzes / «Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024–2027»

Seite des ASTRA mit Nachhaltigkeitsindikatoren (u.a. Handbuch eNISTRA 2017)

Paris-Abkommen: Positionen des ARE bei Richtplanungen & Nationalstrassenbau?

2019-04

Anfrage beim ARE bezüglich Paris-Abkommen, Raumplanung & Mobilität

In unserer Anfrage an das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) fragen wir, welchen Einfluss die völkerrechtsverbindliche Ratifizierung des Paris-Abkommens auf die Vernehmlassungs- und Genehmigungspraxis des ARE bei der kantonalen Richtplanung hat.
Zudem hinterfragen wir die Richtigkeit der Modelle, mit denen Nationalstrassenbau simuliert wird. Denn die Modelle prognostizieren, dass Verkehrsteilnehmer*innen durch Strassenbau im Ergebnis Reisezeit einsparen (Reisezeitgewinne). Empirische Verkehrserhebungen (Mikrozensus Schweiz) kommen aber zu einem anderen Schluss: Die Tagesunterwegszeiten sind über die Jahre praktisch konstant (sie steigen vielmehr ganz leicht). D.h., die Modelle bilden den Verkehr, der entsteht, wenn man die eingesparte Zeit in Verkehr reinvestiert (Rebound-Effekt des sekundär induzierten Verkehrs), nicht wirklichkeitsgetreu ab. Damit sind aber auch die Kosten-Nutzen-Analysen hochfragwürdig, die den politischen Beratungen über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) zugrunde liegen. Sie bilden Nutzen ab, wo sie sich nicht einstellen und weisen negative Effekte durch Mehrverkehr nicht angemessen aus. Es ist anzunehmen, dass die politische Beratung bei einem negativen Kosten-Nutzen-Verhältnis anders verlaufen würde.

Anfrage KlimaVerantwortungJetzt an das ARE vom 11.04.2019 (pdf)

2019-10

Zur Thematik Klima & Verkehr siehe auch den Kommentar von klimaverantwortungjetzt auf die Antworten des Bundesrats auf 3 Vorstösse im Nationalrat