Paper & Artikel

2020-11

Wieso Leitbilder in der Planung unser nichtnachhaltiges Handeln stabilisieren: einige Texte von Axel H. Schubert

Wir leben in einer Welt, in der seit langem klar ist: ein Weiter-So darf nicht sein! Seit den 1980er Jahren versucht Planung und Politik daher mit Leitbildern etwas entgegenzusetzen. Ob bezüglich Verkehr („Stadt der kurzen Wege“) oder der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung („Nachhaltigkeit“); Ab den 90ern kam in der Schweiz das energiepolitische Leitbild der „2000-Watt-Gesellschaft“ hinzu, angesichts des allgemeineren Bewusstwerdens der Klimakrise neu auch „Netto-Null“ – offiziell meist als ein „Netto-Null bis 2050“.

Doch trotz all dieser, die „ökologische“ Krise adressierenden Leitvorstellungen sind in den letzten Jahrzehnten praktisch keine Trendwenden auszumachen. Das Verkehrsaufkommen wächst, die CO2-Emissionen steigen weltweit rasant (seit Rio um weit über 60%), konsumseitig verharren sie in der Schweiz seit 30 Jahren auf gleichbleibend hohem Niveau (weltweit knapp hinter den USA, Kanada oder Australien). Das Auf-der-Stelle-Treten hat auch mit den inneren Widersprüchlichkeiten der Leitbilder zu tun: die in ihrem Rahmen vorgeschlagenen Mittel halten nicht das, was die Leitbilder versprechen. Die Leitbilder haben vielmehr ungerechtfertigten ideologischen Gehalt (siehe: „Gängige Planungsleitbilder als ungerechtfertigte Ideologien“, Berliner Blätter, 2016, pdf) und wirken – in ihrer Funktion als „emotionale Kulturtechnik“emotional beruhigend und darin depolitisierend (siehe: „‚Ökologische Leitbilder‘ als emotionale Kulturtechnik“, Jahrbuch Stadtregion, 2016) (engl. abstract). In der Schweiz rückt als neues, klimapolitisches Leitbild „Netto-Null 2050“ immer mehr in den Fokus (siehe: „Netto-Null: Leitbild oder radikale Gestaltung?“, collage, 2020, pdf). Wo jedoch von Schweizer Politik das Einhalten der 1,5°C-Obergrenze und als geeignetes Mittel „Netto-Null 2050“ zugleich als „pariskompatibel“ behauptet wird, ist auch diese Politik selbstwidersprüchlich. Indem sie beruhigt, wo Beunruhigung rational wäre, entzieht sie – ungerechtfertigterweise – krisenadäquates, radikaleres Handeln der politischen Aufmerksamkeit.

Eine Kritik des gängigen Modells der Nachhaltigkeit ist daher kein Selbstzweck. Sie zielt darauf, das sektorale Dreisäulenmodell oder die ganzheitliche und gleichwertige Integration dreier Dimensionen als Kern der (ungerechtfertigten) Ideologie von Nachhaltigkeit zu beschreiben (Kurzkritik, 1 Seite, pdf). Ein Kern, der nachhaltigkeitstheoretisch als Reaktion auf den gesellschaftlichen Legitimationsverlust verstanden werden kann, den es angesichts dreier virulenter Krisendimensionen ab ca. den 1970er Jahren gab. Historisch (17./18.Jh), wie heute steht die Idee der Nachhaltigkeit für die Sicherung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse. Ernstgemeint müsste Nachhaltigkeit als emanzipatorisches Konzept – das nach einem System-Change fragt – angeeignet werden.

Auch ist das Leitbild der „Stadt der kurzen Wege“ – das im Rahmen des Diskurses um die „15min-Stadt“ ein gewisses Revival zu erleben scheint – kritisch auf seine Grundannahmen zu hinterfragen. Sollen – bei annähernd konstanten Reisezeitbudgets – ursächlich kurze Wege resultieren, sind die Raumwiderstände zu erhöhen. Diese im Kern modernekritische, doch notwendige Forderung nach Entschleunigung wird realpolitisch in aller Regel aber nicht erhoben. Die Geschwindigkeit wird vielmehr dem politischen Diskurs entzogen (Arch+, 203/2011, „Postfossile Mobilität – die Wege sind langsam und steinig“; pdf).

Planungstheoretisch lege ich Wert auf die Bedeutung von Emotionen als integraler Bestandteil unseren Denkens und Handelns, im Sinne einer gebrochenen, oder „emotionalen Rationalität“. Da Emotionen in Planungstheorien bislang kaum thematisiert wurden, habe ich ihre konzeptionelle, planungstheoretische Berücksichtigung vorgeschlagen:

Emotionale Rationalität und Planung: Planungsansätze einer ‚3. Generation‘. Oder: Zum depolitisierenden Potenzial von Vertrauensbildung und Selbstversicherung. Suburban, Bd. 2 Nr. 1 (2014)

Diesbezüglich dämpfe ich Erwartungen an Planung als politische Praxis – zeige zugleich auf, welche Elemente eine politischere Praxis umfassen könnte:

Planung als politische Praxis? Zum emotionalen Risikomanagement praktischen Verhaltens. Suburban,  Bd. 5 Nr. 1/2 (2017)

Bezüglich des Theoretisierens über Planung begründe ich das notwendig normativ-strategische Moment:

Kann gute Planungstheorie wirklich spannend sein. Zum unbequemen Einfangen der Praxis durch Planungstheorie. PLANERIN, 5/16

Dabei strapaziert dieses normative Moment auch Planungspraxis, die sich als eine rechtsstaatliche verstanden wissen will, sehr wesentlich. Denn Rechtsstaatlichkeit verpflichtet aufgrund ihres transzendentalen Fundaments Handeln sehr weitreichend – auch oder gerade wenn die herrschenden Institutionen dies (noch) nicht zum Ausdruck bringen. Der Artikel beleuchtet die sich bzgl. Fragen der Partizipation und Emanzipation ergebenden Spannungsfelder (rechtsstaatlichen) Handelns:

Planen vor der Herausforderung gelingender Partizipation, Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation. In: Oehler et al (Hg) (2017): Emanzipation, Soziale Arbeit und Stadtentwicklung.

Eine Übersicht zu weiteren Artikeln und Vorträgen findet sich hier.